
10 Apr. Zeit der Überforderung
Eigentlich sollte ich jetzt nicht in Wien sein, nicht am Schreibtisch sitzen, nicht diese Zeilen schreiben. Eigentlich sollte ich in meiner Seelen-Tankstelle sein, dem Haus der Stille in der Steiermark, um dort Ostern zu feiern, Tod und Auferstehung.
Zum Haus der Stille gehört untrennbar der sogenannte Markusweg, ein Pilgerweg mit 13 Stationen, der von der Kirche im fünf Kilometer entfernten Heiligenkreuz am Waasen zur Kapelle im Haus der Stille führt.
Eine dieser Stationen ist dem Apostel Petrus gewidmet und seinem Verhalten, als Jesus bereits gefangen genommen ist und er gefragt wird, ob er zu ihm gehöre. Petrus verleugnet seine Gefolgschaft. Dreimal, eher der Hahn zweimal kräht. Sollte man diesen Bibeltext mit einem Schlagwort kennzeichnen, fielen einem vermutlich zuerst die Worte „Verrat“ und „Angst“ ein. In der Station des Markusweges beim Haus der Stille wird jedoch ein anderer Begriff genannt: „Überforderung“.
Petrus ist einer der ersten Jünger Jesu, einer seiner getreuesten Freunde, der bis dato unglaubliche Dinge mit ihm erlebt hat, Wunder und weise Worte, Massenbegeisterung und jetzt auf einmal die (scheinbare) Zerstörung alles, woran er geglaubt hat, seines Weltbildes und seiner Welt.
Wer wäre in dieser Situation nicht überfordert?
In den letzten Tagen musste ich oft daran denken, jetzt, wo mein Leben innerhalb weniger Tage komplett umgekrempelt und neuen Regeln unterworfen wurde – Gemeinschaft, die sonst wünschenswert ist, gilt nun als gefährlich, aus einem Vermummungsverbot wurde ein Vermummungsgebot etc. Und ich ertappe mich dabei, wie ich auf manche Dinge völlig anders reagiere, als unter normalen Umständen – gereizt bin, wo ich sonst ein dickes Fell habe, ungeduldig mit mir selbst bin und unnachsichtig mit anderen.
Sehe ich mich jedoch durch die Brille der Ausnahmesituation bleibt übrig: Ich bin überfordert.
Die Situation der Isolation in Kombination mit Angst um meine Lieben, berufliche und finanzielle Ungewissheit ist für mich schlicht etwas „too big to handle“, wie es auf Englisch griffiger heißt als auf Deutsch „zu groß, um selbst damit fertig zu werden“ oder „um es selbst in die Hände nehmen zu können“.
Da braucht es Hände, die größer sind als meine und in die ich vertrauensvoll alles, was mich derzeit überfordert, legen kann. Ja, mein Verstand weiß, dass es diese Hände gibt, aber mein Hasenherz hat Schwierigkeiten zu glauben. Etwas, in dem ich mich wieder mit Petrus treffe, der in dem Moment, als sein Idol zerstört wurde, dieselben Schwierigkeiten hat, seinen Glauben zu bewahren.
Damit endet diese Bibelstelle jedoch nicht, sondern mit einem Satz, der für mich ein weiteres Schlüsselwort ist:
„Da gedachte Petrus an das Wort, das Jesus zu ihm gesagt hatte: Ehe der Hahn zweimal kräht, wirst du mich dreimal verleugnen. Und er fing an zu weinen.“
Und dieses Weinen hat die Kraft, Dinge zu wandeln, Angst, Schmerz oder Hilflosigkeit abzuwaschen. Weinen kann eine Zäsur sein, wenn sich Gefühle lösen, von denen man gar nicht gespürt hatte, wie verknotet sie waren. Wer weint, ist nicht erstarrt, denn Tränen sind auch Regen für eine traurige Seele.
Im übertragenen Sinn kann Weinen auch schlicht Trauern meinen: Trauer um die Distanz zu den Menschen, die wir lieben, Trauern um den ehemaligen Luxus eines unbeschwerten Alltags, Trauer um die Zerstörung unserer kurzfristigen und langfristigen Pläne.
In diesen Tagen, gerade am heutigen Karfreitag, der den Abstieg in das Reich des Todes symbolisiert und damit den tiefsten Punkt der Ohnmacht bevor mit der Auferstehung von Ostern das Leben wieder neu beginnt, ist es vielleicht wichtig, sich der eigenen Überforderung und den damit verbundenen Gefühlen bewusst zu werden, um durch die Phase des Weinens, sprich: Trauerns, zu einem neuen Lebensabschnitt zu gelangen, in dem neue Hoffnung und Kraft wachsen werden.
Denn es wird ein Leben nach der Corona Pandemie geben, und es wird schön sein!
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