No. 6

Die Gründe, warum ein Klient zum Shiatsu kommt, sind so bunt wie das Leben selbst. Die einen wollen entspannen, die anderen sind depressiv, die dritten haben Nacken-Schulter-Schmerzen. Und dann sitzt plötzlich jemand vor Dir, der auf Deine Frage „Was ist Ihr Anliegen?“ antwortet: „Ich habe Krebs.“

Als Schülerin habe ich mich vor diesem Moment gefürchtet. Oh mein Gott, jemand mit einer massiven Krankheit und einer ebenso massiven Therapie, bei dem es nicht klar ist, ob er beides überleben wird oder ob ich zur unfreiwilligen Sterbebegleiterin werde.

Und dann ist es mir vor ein paar Jahren tatsächlich zum ersten Mal passiert, dass jemand antwortete: „Ich habe Krebs.“ Aber statt dass es mir den Boden unter den Füßen weggezogen hat und ich diesen Menschen überfordert weggeschickt habe – Moment mal, dieser Klient kommt zu mir, vertraut mir, vertraut sich mir an, das ist ein großes Geschenk, und das will ich wegschicken?! – habe ich einfach nur tief durchgeatmet. Aha. Sie haben also Krebs.

Ich habe weiter gefragt, welche Art von Krebs, welche Therapie, aber vor allem: wie geht es Ihnen? Wie geht es Ihrem Körper und Ihrer Seele, denn diese sind mehr als der Krebs.

Sie haben Krebs, aber Sie sind nicht Ihr Krebs!

Wie kann ich Sie unterstützen, Ihre Seele zu beruhigen und Ihren Körper zu stärken? Was brauchen Sie? Was wünschen Sie sich?
Und die Antworten, die mir ein Krebspatient gibt, unterscheiden sich nicht von denen anderer Klienten: Ich möchte besser schlafen können oder: ich möchte wieder mehr Energie haben.

Dann fange ich einfach mal an und gebe ihm Shiatsu. Versuche, den Stress, den ihm die Krankheit verursacht, aus seinem System zu holen und seine Stärken zu stärken. Denn diese sind in jedem Augenblick seines Lebens vorhanden. Auch wenn er sie nicht mehr spürt. Ich behandel den Menschen, nicht seine Krankheit. Und vermutlich ist es dieser Ansatz, der uns beide gestärkt aus einer Shiatsu Behandlung rausgehen lässt.

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