Freund oder Feind?

Wenn ich derzeit aus dem Haus gehe, treffe ich auf ein interessantes Phänomen. Nur wenige Menschen begegnen mir gleichgültig. Fast alle beziehen Position. Die einen, indem sie mich anlächeln, mir zunicken oder mich manchmal sogar grüßen. Die anderen weichen mir merkbar aus, erschrecken, wenn ich ihnen an einer Straßenkreuzung unabsichtlich zu nahe komme oder wenden sich ab, wenn wir aneinander vorbeigehen. Diese Reaktion ist die für mich schwierigere. Emotional gesehen. Denn durch ihr Verhalten signalisieren sie mir „Du bist eine Gefahr, ich weiche Dir aus, will mit Dir nichts zu tun haben.“

Mein Verstand weiß, dass ihr Verhalten ihrer eigenen Angst geschuldet ist, aber dennoch nehme ich es jedes Mal als kleinen Nadelstich wahr, der meine Seele piekst. Als Gegenmittel denke ich mir dann ganz bewusst „Es hat nichts mit mir zu tun. Ich bin in Ordnung. Es ist das Virus.“

Abgelehnt werden heißt, nicht dazu zu gehören, nicht Teil des Rudels zu sein.

Und gerade in Krisenzeiten ist es ein uraltes menschliches Verhaltensmuster, sich im Rudel enger zusammen zu schließen, Schließlich ermöglicht nur das das Überleben des Einzelnen. Genau das ist auch der Grund, warum uns das verordnete social distancing so schwerfällt. Es ist ein Verhalten, das unserer Natur komplett widerspricht.

„Der Mensch ist unter all den Tieren die ultrasoziale Spezies. Ein Großteil des Erfolges der Spezies ist darauf zurückzuführen, dass wir uns miteinander austauschen, Kontakt haben, dass wir gemeinsam Probleme lösen, gemeinsam kleine und große Projekte machen. Die Zivilisation, wie wir sie kennen, ist undenkbar ohne eine hochgradige soziale Vernetzung und Sozialität.“, sagt auch der Sozialpsychologe Gerald Echterhoff in einem Interview mit dem Deutschlandfunk.

Aber auch wenn uns vorgeschrieben wird, dass wir uns räumlich distanzieren, spricht nichts dagegen, emotional in Kontakt zu bleiben. Ganz im Gegenteil.
So kann ich nur aus meiner Erfahrung heraus sagen, nutzen Sie die neuen virtuellen Möglichkeiten, um Menschen – bei denen Sie sich vielleicht schon längst wieder melden wollten – zu kontaktieren. Holen Sie sich die Bestätigung, dass man sie mag und dass Sie dazugehören, über den Kontakt per Telefon, Mail, WhatsApp, Skype etc. Oder lächeln Sie auf der Straße einfach jemanden an.

 

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